Soll sog. „Schwarzfahren“ weiter strafbar bleiben?

Soll sog. "Schwarzfahren" weiter strafbar bleiben? 1
v.l.n.r: Jörg Raupach, Prof. Dr. Martin Heger, Dr. Dirk Behrendt, Aljoscha Leder, Vera Junker, Dr. Thomas Hilpert-Janßen

Die ASJ Berlin diskutierte am 27. März 2019 kontrovers die Frage, ob sog. „Schwarzfahren“ weiter nach § 265a StGB strafbar bleiben oder entkriminalisiert werden soll.

In seiner Begrüßung machte der Landesvorsitzende der ASJ Berlin, Christian Oestmann, deutlich, dass Strafrecht immer nur die ultima ratio seien sollte. Es lohne sich daher darüber nachzudenken, ob der 1935 als Lückenschluss zum Betrugstatbestand eingeführte Straftatbestand des § 265a StGB als Vermögensdelikt auch angesichts der weiten Auslegung des „Erschleichens“ durch den Bundesgerichtshof noch zeitgemäß sei. Aus sozialdemokratischer Sicht gehe es nicht darum, welche Gründe für die Abschaffung oder Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit bestünden, sondern ob und welche Gründe dafür bestehen, an der Strafnorm festzuhalten. Der Sprecher des Arbeitskreises Strafrecht und Strafprozessrecht der ASJ, Aljoscha Leder, moderierte souverän und humorvoll die Diskussion und stellte gleich zu Beginn die Frage, ob die Diskutanten – in verjährter Zeit – schon einmal „schwarz“ gefahren seien. Er stellte klar, dass trotz Zahlung des erhöhten Beförderungsentgeldes Schwarzfahren strafbar sei.

Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Dr. Dirk Behrendt warb für die von ihm vorgeschlagene Bundesratsinitiative, die Beförderungserschleichung zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen, wobei hinsichtlich größerer Vermögensschäden etwa beim Bahnfahren noch Diskussionsbedarf bestehe. Es handele sich um eine Priviligierung öffentlicher Verkehrsunternehmen durch das Strafrecht, die im sonstigen Vertragsrecht nicht bestehe. Die Straftäter*innen müssten häufig Ersatzfreiheitsstrafen absitzen, die außer Verhältnis zum Vermögensschaden stünden, zumal ohnehin ein erhöhtes Beförderungsentgelt zu leisten sei. Zudem würde die Justiz entlastet und könne sich mehr um Clan- und organisierte Kriminalität kümmern.

Vera Junker (stellv. Landesvorsitzende der ASJ) und Dr. Thomas Hilpert-Janßen (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.) traten dem Vorschlag entgegen. Es sei eine rechtspolitische Entscheidung, die nicht davon abhängen dürfe, ob die Justiz überlastet sei und welche Kosten mit der Verfolgung verbunden seien. Das „Schwarzfahren“ müsse als Abschreckung weiter strafbar bleiben. Vera Junker wies darauf hin, dass auch die Steuerhinterziehung passiv erfolge und gleichwohl strafbar sei. Kontrovers wurde die Frage diskutiert, ob die Verkehrsunternehmen im Falle einer bloßen Ordnungswidrigkeit noch ein Festnahmerecht hätten, um die Identität feststellen zu können. Zwar gelte § 127 StPO für Ordnungswidrigkeiten nicht mehr, die Verkehrsunternehmen könnten sich aber weiter auf § 229 BGB stützen. Das Beispiel von Herrn Dr. Hilpert-Janßen, dass sich etwa der schwarzfahrende Bänker der Identitätsfeststellung entziehen könnte, indem er sofort das erhöhte Beförderungsentgeld zahle, wurde von Dr. Behrendt als wenig realistisch zurückgewiesen. 

Prof. Dr. Martin Heger wies darauf hin, dass Entkriminalisierungen im größeren Umfang zuletzt in den 70iger Jahren stattgefunden haben. Er zeigte sich skeptisch, ob die Einführung einer Ordnungswidrigkeit das richtige Mittel sei, auf entsprechende Regelverstöße angemessen zu reagieren. Es handele sich nicht um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr, sondern um zivilrechtliche Ansprüche, die geschützt werden sollen. Zudem werde im Ordnungswidrigkeitenrecht auch meist fahrlässiges Verhalten geahndet, was gegenüber dem bestehenden § 265a StGB sogar eine Verschärfung darstelle. Zwar gebe es auch im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts die Möglichkeit der Erzwingungshaft, dies sei aber mit der Ersatzfreiheitsstrafe nicht zu vergleichen.

Jörg Raupach, leitender Oberstaatsanwalt in Berlin, wies darauf hin, dass es im Strafrecht nur wenige Delikte gebe, die ausschließlich zum Schutz zivilrechtlicher Ansprüche bestünden (Verletzung der Unterhaltspflicht, Unfallflucht). Er gab zu bedenken, dass auch Ordnungswidrigkeiten bearbeitet werden müssten und machte den Vorschlag, § 265a StGB zum absoluten Antragsdelikt auszugestalten. Die Staatsanwaltschaft könnte dann entsprechende Anträge in der Regel auf den Privatklageweg verweisen, notorische Schwarzfahrer aber weiterhin strafrechtlich verfolgen.

Einigkeit bestand darin, die Vollzugsangebote „Schwitzen statt Sitzen“ anstelle von Ersatzfreiheitsstrafen auszubauen und zu stärken. Soweit der öffentliche Personennahverkehr kostenfrei wäre, stellte sich die Frage der Beförderungserschleichung nicht mehr, was allerdings erhebliche Kosten der öffentlichen Hand nach sich zöge.

Die anschließende lebhafte Debatte mit den etwa 50 Gästen, die in dem anschließenden Get together noch lange weiter ging, machte deutlich, dass die seit Jahren bestehende rechtspolitische Diskussion fortgeführt werden sollte.