Die Digitalisierung beeinflusst unser Leben, Arbeiten und Wirtschaften in allen Bereichen. Auch Justiz, Verwaltung, Rechtsberatung und -dienstleistungen sind davon betroffen. In vielerlei Bereichen – etwa der Bearbeitung von Massenverfahren oder der Einziehung bestimmter Forderungen – haben Legal-Tech-Anwendungen die Art und Weise, wie Rechtsberatung und Rechtsdienstleistungen stattfinden, bereits signifikant verändert. Diese Entwicklungen sind in der Berliner Justiz bisher nicht angemessen aufgegriffen und berücksichtigt worden.
Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen wir das Potential der Digitalisierung nutzen, um den Zugang zum Recht für alle Menschen zu verbessern. Deshalb wollen wir die Entwicklung von Legal-Tech-Anwendungen nicht allein privaten Dienstleistern überlassen. Auch Gerichte, Staatsanwaltschaften und andere öffentliche Stellen müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, um ihre Arbeit besser und effektiver zu gestalten und dabei rechtsstaatliche Grundsätze zu wahren. In der juristischen Ausbildung müssen dafür die notwendigen Grundlagen gelegt werden.
Deshalb haben wir uns im Landeswahlprogramm der SPD Berlin das Ziel gesetzt, ein Innovationszentrum für Legal-Tech-Anwendungen zu schaffen. Unser Ziel ist es, Berlin zum Vorreiter moderner digitaler Justiz in Deutschland zu machen.
Legal Tech in der juristischen Ausbildung stärken
Ausgehend von einer immer komplexer werdenden Technologie wird ein technisches Verständnis auch im Rahmen der juristischen Arbeit zunehmend erforderlich. Die Relevanz von Legal Tech (im Sinne technischer Unterstützung der juristischen Arbeit) in der Praxis steht jedoch einer unzureichenden Vorbereitung in der juristischen Ausbildung gegenüber. Zwar gibt es bereits entsprechende studentische Initiativen sowie LL.M.-Studiengänge, die dieses Themenfeld vertieft behandeln. Allerdings gibt es in der „klassischen“ juristischen Ausbildung keine oder kaum Berührungspunkte für die Studierenden mit dem Bereich Legal Tech.
Auch im Bereich Datenschutz fehlt vielen Jurist*innen das Verständnis für die informationstechnischen Grundlagen, etwa über Verschlüsselungstechnik, obwohl dieses für eine adäquate Umsetzung z.B. der Datenschutzgrundverordnung essenziell ist. Darüber hinaus muss ein kritischer Umgang mit Legal Tech und seiner Regulierung gewährleistet werden, sodass eine ausschließlich technische Ausbildung nicht genügt.
Wir setzen uns dafür ein, eine entsprechende Vorbereitung in die juristische Ausbildung zu integrieren, um dem schnellen technischen Wandel gerecht zu werden und die Studierenden dahingehend zu schulen. Die Vermittlung von informationstechnischen Grundkenntnissen sowie eine Ausbildung im Bereich Legal Tech sollten Bestandteile des Studiums unter der Vergabe entsprechender Leistungspunkte werden. Das Curriculum ist entsprechend anzupassen und ein fächerübergreifender Austausch zu fördern. Das Legal-Tech-Innovationszentrum kann hier wichtige Impulse setzen und die Berliner Universitäten dabei unterstützen, Legal Tech weiter in Lehre und Forschung zu integrieren.
Digitalisierung der Justiz voranbringen
Das Legal-Tech-Innovationszentrum soll die Digitalisierung von Justiz und Recht vorantreiben und Wege aufzuzeigen, wie die Digitalisierung dabei helfen kann, Staat und Justiz effektiv, modern und bürgernah zu gestalten.
Dabei sollen weder analoge Arbeitsweisen in den digitalen Raum kopiert noch rechtsstaatliche Verfahren durch automatisierte Entscheidungen ersetzt werden. Vielmehr geht es darum, Rechtsberatung, Rechtsdienstleistung und Rechtsprechung für das 21. Jahrhundert grundlegend neu zu denken. Wir sind überzeugt, dass dies nicht nur für die Rechtsuchenden erhebliche Vorteile bieten kann, sondern auch den Rechtspraktikern die Bearbeitung von juristisch wie tatsächlich komplexer werdenden Aufgaben erleichtern kann.
Kooperationen mit der Anwaltschaft, der Wirtschaft und den Hochschulen schaffen
Ein Legal-Tech-Innovationszentrum für Berlin soll Stakeholder aus Justiz, Anwaltschaft, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Verwaltung zusammenbringen. Es soll interdisziplinär aufgestellt sein und juristische, technische, sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Expertise verbinden. Es soll Wissen und Kompetenz aufbauen, um anderen Stellen in der Berliner Justiz den Zugang zu und die Nutzung von digitalen Anwendungen zu erleichtern sowie die Aus- und Fortbildung für Studierende und Praktiker unterstützen. Gleichzeitig soll es – allein oder in Kooperation mit anderen Stellen – eigene Beiträge zum wissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskurs über die Potentiale der Digitalisierung von Recht und Justiz leisten.
Um diese Ziele zu erreichen, muss die Arbeit des Legal-Tech-Zentrums drei Schlüsselbereiche umfassen: Rechtsberatung und Rechtsdienstleistungen; Justiz und Verwaltung; Universitäre Lehre, Aus- und Fortbildung.
Verankerung des Legal-Tech-Innovationszentrums in der Senatsverwaltung für Justiz
Das Legal-Tech-Zentrum soll bei der Senatsverwaltung für Justiz angesiedelt sein. Über einen Stakeholder-Beirat soll es die Expertise von Vertreterinnen und Vertretern von Justiz, Anwaltschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung einbinden, insbesondere hinsichtlich der Arbeitsplanung und Priorisierung möglicher Projekte. Es soll personell und finanziell angemessen ausgestattet werden, um die beschriebenen Aufgaben effektiv zu erfüllen.
Im Einzelnen soll das Legal-Tech-Zentrum folgende Aufgaben haben:
- Sammlung, Systematisierung und praxisorientierte Darstellung von Informationen über bestehende Legal-Tech-Anwendungen, die in Justiz, Verwaltung, Rechtsberatung und Rechtsdienstleistung zum Einsatz kommen können, sowie bestehender rechtlicher Möglichkeiten zum Einsatz digitaler Verfahren;
- Durchführung bzw. Vergabe von Forschungsprojekten, die dazu beitragen, die Digitalisierung von Recht und Justiz voranzutreiben und den Zugang zum Recht zu verbessern;
- Untersuchung der Möglichkeiten und Hindernissen für die Digitalisierung im Rahmen einzelner juristischer Verfahren, Arbeitsprozesse, Verfahrensordnungen und Fallkonstellationen und Erarbeitung von Optionen, wie die Digitalisierung zu besserer Rechtsberatung, Rechtsdienstleistung und Rechtsprechung beitragen kann;
- Identifizierung ungenutzter Potentiale von Legal Tech-Anwendungen für Rechtsberatung, Rechtsdienstleistungen, Justiz und Verwaltung sowie von Schwachstellen (z.B. Medienbrüchen), die zu deren Nutzung zu beseitigen sind;
- Beschreibung von technischen und juristischen Mindeststandards, die Legal-Tech-Anwendungen erfüllen müssen, um in bestimmten Bereichen zur Anwendung kommen zu können;
- Durchführung von Modellprojekten, auch in Zusammenarbeit mit dem Bund, anderen Ländern oder Dritten, um Legal-Tech-Anwendungen und damit verbundene innovative rechtliche Regelungen zu erproben („regulatory sandboxes“) oder Prototypen neuer Legal-Tech-Anwendungen zu entwickeln;
- Sammlung und Systematisierung bestehender sowie Entwicklung neuer Aus- und Fortbildungsangebote zu Legal-Tech-Themen, in enger Zusammenarbeit mit den Berliner Universitäten, dem Gemeinsamen Justizprüfungsamt, dem Kammergericht und der Rechtsanwaltskammer;
- fachlicher Austausch zu Potential und Einsatz von Legal-Tech-Anwendungen mit relevanten Stakeholdern, dem Bund, den Justizverwaltungen der Länder sowie mit europäischen Partnern (z.B. dem Incubateur du Barreau de Paris).
Entwickelte Inhalte und Software-Lösungen, die öffentlich finanziert wurden, sollen offene Standards nutzen und der Allgemeinheit über freie Lizenzen zur Verfügung gestellt werden („Public Money, Public Code“).