Beschluss des Landesvorstandes der ASJ Berlin vom 11. Februar 2021

Die SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages und die Landesregierungen mit sozialdemokratischer Beteiligung werden aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass aus dem Gesetzentwurf für ein Gerichtsvollzieherschutzgesetz (GvSchuG) die Regelung, nach der die für die Ausübung der Erwerbstätigkeit eines selbständigen Schuldners nötigen Sachen in die Insolvenzmasse fallen, nicht Gesetz wird. Artikel 2 Ziffer 1 (Änderung der Insolvenzordnung) des Entwurfes des Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften (GvSchuG –Bundesratsdrucksache 62/21) sollte entfallen.

Begründung: Die Bundesregierung hat dem Bundestag und dem Bundesrat den Entwurf des o.a. Gesetzes zugeleitet. Damit soll nicht nur der Schutz von Gerichtsvollziehern geregelt werden, sondern es werden auch Fragen der Zwangsvollstreckung und des Insolvenzrechts aufgegriffen.

Mit Art. 1 Nr. 6 des Entwurfes (S. 6, 7) soll § 811 der Zivilprozessordnung (ZPO) neu gefasst werden. In § 811 Nummer 1 ZPO der Entwurfsfassung heißt es:

„Nicht der Pfändung unterliegen

1. Sachen, die der Schuldner oder eine Person, mit der er in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt, benötigt

a) …

b) für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder eine damit in Zusammenhang stehende Aus- oder Fortbildung;“

Durch diese begrüßenswerte Neuregelung, die das geltende Recht fortschreibt, wird u.a. Selbstständigen das für ihre Erwerbstätigkeit Notwendige belassen, um eine Fortführung des Betriebes und dadurch eine Gläubigerbefriedigung zu ermöglichen. So kann bei einem selbständigen Handwerksunternehmer alles, was er zur Berufsfortführung an Handwerkszeug und etwa an Transportmitteln benötigt, nicht gepfändet werden. Damit sollen nach Begründung des Gesetzes auch die Gläubigerinteressen berücksichtigt und die öffentlichen Kassen vor Inanspruchnahme von staatlichen Leistungen geschützt werden. 

Dies gilt für die Einzelzwangsvollstreckung. Für den Insolvenzfall sieht der die Insolvenzordnung (InsO) ändernde Art. 2 unter Nr. 1 des Entwurfs (S. 9) dagegen eine Änderung in § 36 Absatz 2 Nummer 2 vor, der zufolge neu abweichend von § 811 Abs. 1 Nr. 1 b ZPO auch alle Sachen, die der selbstständige Insolvenzschuldner zur Erwerbsausübung benötigt, in die Insolvenzmasse fallen und damit ihm nicht mehr zu Erwerbszwecken zur Verfügung stehen. Einem selbständigen Handwerksunternehmer würden damit seine Handwerks- und betrieblichen Transportmittel entzogen und ihm damit eine weitere Erwerbsausübung praktisch unmöglich gemacht. Nach der Begründung soll so eine Weiterführung des schuldnerischen Betriebes und ggf. eine Veräußerung durch den Insolvenzverwalter erleichtert und es sollen die Befriedigungsaussichten der Gläubiger verbessert werden. 

Richtig daran ist, dass ein Betriebsübergang nach § 613a BGB oft davon abhängt, ob auch die Betriebsmittel übergehen. Allerdings bezieht sich der Pfändungsschutz nur auf die persönlichen Arbeitsmittel, nicht auf das, was einen Betrieb als Organisation ausmacht und die dafür vorgehaltenen Finanzmittel. Durch eine Austauschpfändung können zudem – wie bisher – wertvolle, teure und wichtige Maschinen im Betrieb belassen und mit veräußert werden, während dem Insolvenzschuldner dafür einfachere, für persönliche Arbeit ausreichende Gegenstände überlassen werden. Für Gesellschaften und juristische Personen als solche sind Betriebsmittel ohnehin nicht über den Pfändungsschutz gesichert, sondern nur insoweit als vermittelt über sie ein Gesellschafter oder Geschäftsführer persönliche Arbeit erbringt. Dass durch die Neuregelung mehr Betriebsübergänge zustande kommen als ohne sie, ist höchst fraglich, ein arbeitsplatzschützender Effekt nicht ersichtlich.

Nicht thematisiert wird außerdem, ob damit ein Eingriff in die Berufsfreiheit des Schuldners aus Art. 12 Absatz 1 Satz1 des Grundgesetzes (GG) ggf. auch eine unzulässige Ungleichbehandlung von Schuldnern im Falle der Einzelzwangsvollstreckung und in der Insolvenz (Art. 3 Abs. 1 GG) verbunden ist. Zudem ist ein Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum des Schuldners möglich. Jedenfalls ist nicht bedacht, wie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auch des selbstständigen Schuldners gewahrt wird. In der Konsequenz wäre die Fortsetzung einer selbstständigen Tätigkeit aufgrund persönlicher Arbeit im Insolvenzverfahren kaum mehr möglich. Das ist schwerlich mit verfassungsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren und nicht durch die Interessen der Gläubiger zu rechtfertigen.

Zwar kann der Insolvenzverwalter auch nach dem Entwurf Gegenstände aus der Masse freigeben mit dem Ziel, dem Schuldner eine Weiterarbeit zu ermöglichen, deren Ertrag so in die Masse fällt, als wäre der Schuldner ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen. Üblich ist es, dafür Gegenleistungen des Schuldners zu verlangen. Diese Möglichkeit hängt damit sowohl von einem entsprechenden Willen des Insolvenzverwalters als auch von den finanziellen Möglichkeiten des Schuldners ab.

Auch wird nicht die Auswirkung auf öffentliche Kassen durch den Entzug der Erwerbsmittel in der Insolvenz berücksichtigt. Wer nicht mehr arbeiten kann, ist auf Sozialleistungen angewiesen.

Gerade kleinere Betriebe, die als Einzelunternehmen betrieben werden, verfügen allenfalls über eigene Betriebsmittel, die in der Verwertung möglicherweise sogar weniger Ertrag als eine Weiterführung des Betriebes bringen. Bei höherwertigen Betriebsmitteln (Arztpraxis) werden diese in der Regel geleast und damit ohnehin dem Zugriff durch den Insolvenzverwalter entzogen sein. 

Die neuen, verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriffe in die Rechte des Schuldners im Insolvenzverfahren können nicht hingenommen werden. Dementsprechend ist die geplante Einschränkung in § 36 Absatz 2 Nummer 2 InsO zu streichen.