Erfurter Erklärung der ASJ Berlin

Beschluss des ASJ Landesvorstandes Berlin vom 10. Januar 2023

A. Krieg in Europa und seine Auswirkungen

I. Ausgangslage

Die Ukraine verteidigt sich gegen den von Vladimir Putin angezettelten barbarischen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands. Daraus erwachsen die völkerrechtliche Erlaubnis und politisch-moralische Pflicht zur umfassenden Unterstützung der Ukraine, wie sie Deutschland und seine Verbündeten leisten.

Russlands Krieg richtet sich gegen die Souveränität, territoriale Integrität und Selbstbestimmung der Ukraine – und er richtet sich auch gegen die Grundsätze einer regelbasierten internationalen Ordnung. Wir unterstützen die Ukraine deshalb nicht nur aus Solidarität, sondern auch, um unsere europäischen Werte zu verteidigen.

Die Sanktionen gegen Russland wirken, sie schwächen die Kampfkraft der russischen Armee. Die Sanktionen sind aufrechtzuerhalten.

Die grausamen Verbrechen in Butscha, Isjum und an anderen Orten der Ukraine machen uns fassungslos und stärken unsere Entschlossenheit, die Ukraine wirksam zu unterstützen. Sie verdeutlichen die Notwendigkeit zum Aufbau einer wirkungsvollen internationalen Strafgerichtsbarkeit. Wir sollten unser Engagement auch in diesem Bereich ausbauen. 

II. Zusammenhalt der Gesellschaft 

Die Auswirkungen des Krieges und der Sanktionen sind aber auch in Deutschland spürbar. Allerdings steht es in unserer Macht, diese Auswirkungen zu begrenzen. Wenn wir solidarisch zusammenstehen und unseren Wohlstand gerecht verteilen, wird unsere Gesellschaft nicht auseinanderfallen, sondern kann gestärkt aus dieser Krise herausgehen.

Die Auswirkungen des Krieges werden kurzfristige und langfristige Folgen haben. Diesen müssen wir unterschiedlich begegnen.

Es muss sichergestellt werden, dass die Grundbedürfnisse der Menschen zu jeder Zeit erfüllt werden. Die Menschen brauchen die Sicherheit, sich Wohnen und Heizen leisten zu können und ihre Ersparnisse nicht zu verlieren. Dies gilt freilich sowohl für Mieter:innen wie für Eigentümer:innen. 

Kurzfristig lässt sich dies über die Abschöpfung von Zufallsgewinnen finanzieren. Außerdem darf ein behutsames Lösen der Schuldenbremse kein Tabu sein. Dies gilt auch für Schuldenbremsen auf Länderebene. Hier besteht Spielraum, der genutzt werden kann und muss. Ein erster richtiger Schritt ist der effektive Nebenkostenschutz durch schnellstmögliche Einführung einer Strom- und Gaspreisbremse

Hierzu brauchen wir pragmatische und gute Regelungen. Dazu möchten wir unseren Sachverstand einbringen. Das 29 -Euro-Ticket für Berlin ist ein Beispiel für ein solch pragmatisches Vorangehen.

III. Wohlstand bewahren und gerecht verteilen

Auf lange Sicht beschleunigen der Krieg und seine Auswirkungen die ohnehin notwendige energiepolitische Loslösung von Russland und die konsequente Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energiequellen. 

Im Hinblick auf unsere Versorgungssicherheit müssen wir stärker auf dezentrale Lösungen setzen – hier besteht auch noch viel Bedarf an gesetzgeberischem Feintuning. 

Wir können unseren Wohlstand bewahren und gerechter verteilen. Eine solidarische Bewältigung unserer Herausforderungen bedeutet, dass vor allem diejenigen in Anspruch genommen werden, die viel haben. Denn starke Schultern müssen mehr tragen. Eine vernünftige Erbschaftssteuer, die den Belangen des Mittelstandes Rechnung trägt, gehört ebenso dazu wie eine Vermögensabgabe. 

Eine solche gerechte Verteilung des Wohlstands in Deutschland wird uns auf lange Sicht stärker machen. Genauso wie es die Mitmenschlichkeit tut, mit der wir die geflüchteten Menschen aus der Ukraine aufgenommen haben und aufnehmen. Dies ist eine große Leistung, die uns anspornen sollte, so allen Menschen zu begegnen, die in dieses Land kommen: Ob freiwillig oder auf der Flucht.  

B. Sozialdemokratische Rechtspolitik

Wir setzen auf die Stärke des Rechts und vertrauen auf die Fähigkeit des Rechtsstaats, Schwächere zu schützen und soziale Gerechtigkeit praktisch zu gestalten. Wir wollen den demokratischen und sozialen Rechtsstaat bewahren und stärken.

I. Ziele und Werte

Wir fordern, Maßnahmen zu ergreifen, die den Rechtsstaat stärken, einem Vertrauensverlust entgegensteuern und insbesondere eine Überlastung der Justiz verhindern und ihre Bevölkerungsnähe erhalten und ausbauen. Wir möchten die Justiz personell stärken und sie sachlich ausreichend mit zeitgemäßen Arbeitsplätzen und moderner IT-Infrastruktur ausstatten. Hierzu bedarf es einer Verstetigung des Paktes für den Rechtsstaates. Wir fordern neben Mitteln für die Digitalisierung der Justiz auch mehr Mittel für Personal dauerhaft zur Verfügung zu stellen.

Als SPD wollen wir zudem die Justizressorts wieder verstärkt in den Vordergrund der politischen Agenda rücken. Wir bedauern, dass die SPD in den vergangenen Jahren die Justizressorts häufig an andere Koalitionspartner abgegeben und sich damit eines wichtigen Gestaltungsmittels weitgehend entledigt hat. Als Kernressort gehört die Justiz in die Hände der SPD, wenn sie verantwortungsvoll regieren will. Wir wollen Justiz- und Rechtspolitik als Hebel für eine gerechte Gesellschaft nutzen, die niemanden zurücklässt. Sozialdemokratische Rechtspolitik bedeutet, soziale Gerechtigkeit in der Praxis zu gestalten! 

Auch die Verwaltung spielt eine wichtige Rolle bei der Stärkung des Vertrauens der Bürger:innen in den Staat. Nur reiche Menschen können sich einen schwachen Staat leisten. Verwaltung muss sich in erster Linie als Dienstleisterin der Bürger:innen verstehen und dementsprechend bürger:innennah und für alle Menschen zugänglich sein sowie verständlich und transparent handeln.

Insbesondere die Sozialbehörden müssen Bürger:innen einen umfassenden Überblick über die ihnen zur Verfügung stehenden Leistungen geben und bei der Beantragung dieser Leistungen unterstützen. Antragserfordernisse sollten so einfach und niedrigschwellig wie möglich sein. Gesetzlich gebundene Ansprüche sollten so weit wie möglich automatisiert und ohne Antrag gewährt werden. Hier bietet die Digitalisierung der Verwaltung echte Chancen für einen bürger:innenfreundlichen, helfenden Staat.

Anträge auf Leistungen müssen zudem zügig beschieden und sonstige Verwaltungsdienstleistungen, auf die die Bürger:innen angewiesen sind, zeitnah angeboten und erbracht werden. Hierzu sind einerseits die personellen Voraussetzungen zu schaffen, andererseits ermöglicht eine Digitalisierung der Verwaltung auch hier eine Beschleunigung der Verwaltungsdienstleistungen.

Wir erkennen an, dass die Gesellschaft Regeln braucht und dass das Recht die Gesellschaft (mit-)gestaltet und den Rechtsfrieden sichert. Zugleich müssen eine Überregulierung vermieden und Ängste genommen werden. Insbesondere die Digitalisierung darf niemanden zurücklassen, sodass stets auch Alternativen zu einer digitalen Inanspruchnahme von staatlichen Leistungen existieren müssen. 

Zugleich wollen wir soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit verwirklichen. Hierfür wollen wir den Bildungsaufstieg erleichtern und den Respekt und die Wertschätzung gegenüber Ausbildungsberufen und Arbeiter*innen bewahren und fördern. Zudem soll die Justiz auch die Gesellschaft widerspiegeln, damit vielfältige Perspektiven in die Rechtspraxis Eingang finden und um die Bevölkerungsnähe zu verstärken. Deshalb verstehen wir Migration als Bereicherung und Chance, gerade auch für den Rechtsstaat. Zudem fördern wir Frauen in Führungspositionen – auch in der Justiz. 

Wir wirken auf einen Abbau von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und der sozialen Herkunft und eines (zugeschriebenen) Migrationshintergrundes in der juristischen Ausbildung hin. Wir setzen uns für eine Erhöhung der Unterhaltsbeihilfe im Referendariat ein, um den hohen Wohnkosten in Berlin und den steigenden Lebenshaltungskosten Rechnung zu tragen. Die Entscheidung, auch das zweite Staatsexamen zu absolvieren, darf nicht an fehlender finanzieller Unterstützung scheitern.

Wir sehen mit Sorge, dass finanziell und sozial schlechter gestellte Menschen häufig durch das Recht benachteiligt werden und nicht den gleichen Zugang zur Justiz haben. Gesellschaftliche Unterschiede spiegeln sich deutlich auch in der Rechtspraxis wider, schon weil sich viele einen Rechtsbeistand nicht leisten können oder weil sie ihre Rechte nicht kennen oder nicht wahrnehmen. Aufgabe sozialdemokratischer Rechtspolitik ist es, durch niedrigschwellige und durch einen Rechtsanspruch abgesicherte Prozess- und Beratungshilfe daraus resultierende Benachteiligungen auszugleichen. Jede Person sollte zwingend einen Verteidiger im Strafprozess und einen Rechtsbeistand in Miet-, Asyl-, Sozial- und Arbeitsstreitigkeiten haben, um ihre Rechte vor Gericht angemessen wahrnehmen zu können. So trägt unsere Rechtspolitik zur Verwirklichung unserer sozialdemokratischen Grundwerte bei.

II. Vom Kleinen ins Große denken und Verantwortung übernehmen

Wer Recht in Anspruch nehmen möchte, muss die eigenen Rechte kennen und verstehen, wie diese durchgesetzt werden können. Wir fordern daher die flächendeckende Einführung des Rechtskundeunterrichts für alle Schüler:innen. Das so wachsende Verständnis fördert zugleich das Vertrauen in den (Rechts-)Staat. Aber auch Arbeitnehmer:innen müssen einen erleichterten Zugang zu Informationen über ihre Rechte und Pflichten, aber auch zu Beratungsstellen haben. Zudem müssen Verbraucherschutzinformationsstellen gefördertwerden.  

Außerdem fordern wir, dass in den Prozessordnungen eine größere Transparenz Einzug hält und auf solche Rechtssuchende besondere Rücksicht zu nehmen ist, die nicht über eine anwaltliche Vertretung verfügen. Vor Gericht darf kein „kurzer Prozess“, insbesondere in Miet- und Räumungsklagen, zu Lasten derjenigen gemacht werden, die ihr Recht suchen und wahrnehmen. Eine verantwortungsvolle und unabhängige Rechtsprechung in einem fairen Verfahren ist ein Garant für unseren Rechtsstaat. 

Aber auch auf internationaler Ebene müssen wir uns verstärkt für die Wahrung des Rechtsstaates und den Schutz der Menschenrechte einsetzen und eine entsprechende Verantwortungshaltung einnehmen. Auch innerhalb der Europäischen Union müssen wir stets auf den Erhalt rechtsstaatlicher Mechanismen und Institutionen drängen.